Heute. Ein Urlaubstag. Urlaubstage sind für mich Tage, an denen ich mich treiben lasse. Ungeplant. Einfach los und sehen was kommt. Das klappt nicht immer. Es muss aber erstmal einen Plan geben. Nicht den Plan zum Treiben lassen, sondern einen ersten Plan, der aus einem ersten Ort und einer ersten Aktion besteht. Das kann zum Beispiel, ein Gang in die Stadtbücherei sein. Meistens überrasche ich mich dann selber mit meinem Urlaubstag. Er ist entstanden, weil ich offen war. Offen um mein Außen zu betrachten, und offen, um mein Innen zu betrachten. Blabla... will sagen: Ich hab einfach das gemacht, worauf ich Lust hatte, und ich hatte Lust. Lust habe ich nicht immer. Hab ich Lust auf Rechts oder Links? Lust auf Kaffee oder Eis?
Heute ist mir etwas passiert, was nur ganz selten geschieht: Ich habe gelesen. Eine Stunde lang. Ich war in der Buchhandlung, in der Grossen, schön Eingerichteten, mit den Sofas und dem Fenster zum Dom. Ich wollte ein paar Bücher anlesen und prüfen, ob sie wert sind, sie auf meine Geburtstagswunschliste zu setzen. Eines davon ist es nun nicht mehr wert, weil ich es vor Ort bereits „leer“ gelesen habe. (Mir gefällt die Vorstellung des Leerlesens. Auch wenn die Buchstaben noch da sind, wenn sie gelesen wurden, sie lesen sich doch nie mehr so, wie beim ersten Mal. Man hat etwas gelehrt, verzehrt, etwas Einzigartiges„weg gemacht“).
Es war ein Buch von Amèlie Nothomb, und es heißt „Biographie des Hungers“. Bisher habe ich von ihr höchstens acht Sätze lesen können, dann gab ich auf. Sie war mir fremd.
In diesem Buch aber sprechen wir eine Sprache. Sie geht zurück zu ihrer Kindheit, ihrem Aufwachsen in Japan, China, New York. Vor allem erzählt sie von ihrem unstillbaren Hunger. Sie meint damit den echten Hunger, der sie besonders zu Süßspeisen hinzieht („zu süß" existiert nicht. Das ist genauso als würde man etwas „zu schön“ finden.). Besonders mag ich die Szene, als sie auf der Jagd nach Süßem ist, und dabei in der elterlichen Garage eine Packung Spekulatius findet. Das Knuspern dieser süßen, zimtigen Kekse begeistert sie derart, dass sie sich einen Platz überlegt, der diesem Genuß gerecht wird. Sie läuft mit der Kekspackung unter ihrem Pullover ins Badezimmer, setzt sich aufs Waschbecken und schaut sich im Spiegel bei ihrem Genuss zu. Sie ist sieben Jahre alt, und entdeckt in ihrem Gesicht die Wolllust.
Ihr Hunger ist aber auch der Hunger nach Leben, nach Experimenten, nach Schmecken und Fühlen und Leben und Lachen. Sie hilft beim Wäsche Aufhängen und saugt dabei an den frisch gewaschenen Kleidungsstücken, um sich diesen Duft einzuverleiben.
Sie ist kaum vier Jahre alt und begeistert als ihre japanische Kinderfrau ihr einen Tropfen Pflaumenschnaps gibt. Auf Partys probiert sie an rumstehenden Champagnergläsern und lacht über ihren Kater am nächsten Tag. Mit etwa sieben Jahren findet sie heraus, dass man aus Schnee, Zitrone und Gin eine herrliche Löffelspeise machen kann.
Sie will drei Worte aus der Sprache streichen: baden, Kleidung und leiden. Schöne Dinge, die so unschöne Buchstabenfolgen zu beschreiben versuchen. (Ich frage mich allerdings, ob sie die französischen, die japanischen oder die englischen Worte dafür meint. Sie spricht all diese Sprachen mit wenigen Jahren.
Dieses Buch machte mich froh und heiter. Eine ganze Stunde lang, und es wirkte auch noch nach. Ich möchte Amélie am liebsten kennen lernen. Aber ich würde mich vermutlich unwohl fühlen. Neben so einer Lebefrau.
Donnerstag, 13. August 2009
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