Montag, 25. Januar 2010

"Die Deutsche Bahn"

Immer beschweren sich alle über die Bahn. Über „Die Deutsche Bahn“. Beim Beschweren nennen sie gerne den vollen Namen. Ich beschwere mich nicht. Ich bedaure hin und wieder, dass ich zehn Minuten länger in der Kälte stehen muss, freue mich auch nicht, dass ich gleich meinen netten ICE verlassen muss, weil ich ausserplanmässig umsteigen muss, finde auch, dass Zug fahren in Deutschland sehr teuer ist, aber beschweren tue ich mich nicht. Bei wem auch? Wer ist denn Schuld? Wenn ein Zug Verspätung hat, dann kann doch nicht ein Mensch was dafür. Wenn er dann mehrmals Verspätung hat, hat scheinbar gleich ein ganzes Ding Schuld: Die Deutsche Bahn. Wer ist denn die Deutsche Bahn? Mit Sicherheit ist es nicht der Schaffner. Der sitzt doch im selben Boot wie wir. Schlimmer noch. Der hat nicht nur Verspätung wie wir, und somit einen längeren Arbeitstag, der muss dafür auch noch beschimpft werden. Und er muss am Verspätungstag zehnmal soviel erklären wie sonst. Ich könnte die Kette jetzt mal durchgehen, die Hierarchie-Leiter weiter hochklettern, um irgendwann beim Schuldigen anzukommen. Ich glaube, ich würde immer noch keinen finden.
In einem Unternehmen läuft doch auch nicht immer alles rund. Pannen gehören dazu. Das Schicksal haut uns doch immer mal wieder. Da geht was kaputt, da fehlt was, da hört man was nicht, da fehlt mir die Kraft, da verliere ich den Schlüssel, da habe ich mich verguckt, alles Dinge die passieren. Mal mehr mal weniger schuldig. Und selbst wenn Schuld, dann gibt es viel Schuld, die keine böse Schuld ist. Eine schicksalhafte Schuld.
Ich wollte aber eigentlich nur erzählen, wie gut es mir gerade geht. Hier in diesem Wagen der „Deutschen Bahn“. Draußen scheint die Sonne, mir freundlich ins Gesicht, draußen sind es böse Minusgrade, drinnen ist es freundlich warm. Eigentlich sollte ich im Wagen 31 sitzen. Aber der hat heute kältefrei. Wenn „mein“ Wagen, inklusive Sitzplatz fehlt, dann darf ich vielleicht in die erste Klasse? Ich darf. Ich ziehe meine Schuhe aus, schaue aus dem Fenster, genieße mein Butterbrot, alles ist ruhig und gut gelaunt und ich fühle mich wie in der Deutsche-Bahn-Werbung. Vielleicht sehe ich genauso schön aus, wie die Mutter, die mit ihrem attraktiven Mann und ihrem wohlerzogenen Kind am Deutsche-Bahn-Tisch sitzt und Memory spielt?
Neben mir wird telefoniert. Find ich gut. Was ich da so alles erfahre!
Oh, jetzt hat sie aufgehört. Da höre ich lieber mal auf mit diesem Blog. Sonst guckt sie nachher noch ab, liest meine Worte und fängt noch an, die Deutsche Bahn auch zu mögen. Dann wäre ich nicht mehr die absolute Minderheit.
Jetzt bietet sie mir ein Gummibärchen an. Ich muss Schluss machen.