„Sind Sie ansprechbar“, hieß einmal einer meiner Einträge hier. Daraufhin kam gestern ein schöner, langer Kommentar. Und prompt passiert mir gestern abend etwas, das wunderbar dazu passt. Hat das was mit den Energien und Aufmerksamkeiten zu tun...?
Ich stehe am Bahnsteig und warte auf meinen Zug. Es ist abends um halb elf, wochentags. Ich bin nicht alleine. Eine Freundin von mir hat mich begleitet und wartet mit mir. Wir reden, vielleicht etwas lauter, vielleicht lachen wir auch etwas, vielleicht macht ihr das Mut, vielleicht, sind wir ihr auch einfach sympathisch. „Darf ich Sie mal ansprechen?“ fragt uns eine junge Frau. Sie mag Anfang Zwanzig sein, eine moderne Türkin. „Klar“, sage ich. Sie lacht kurz, wiederholt mein „Klar,“ sagt, „ wir sind ja in Köln.“ Und wird dann ernster: „Seid ihr schon mal betrogen worden?“ Meine Freundin und ich gucken vermutlich zwei Sekunden lang etwas dümmlich überrascht, weil man so eine Frage normalerweise nicht von einer fremden Frau am Bahnsteig gestellt bekommt, aber dann sind wir auch schon zum Antworten bereit. „Nein,“ sagt meine Freundin. „Nein,“ sage ich, „zumindest nicht, dass ich wüsste.“ Wieder lachen wir ein wenig, und dann erzählt uns die Frau - das Mädchen passt besser? Nein, irgendwas dazwischen- dass sie heute erfahren hat, dass ihr Freund, mit dem sie zwei Jahre lang zusammen war, sie ein halbes Jahr lang betrogen hat. Wir stellen Fragen, sie antwortet, sie erzählt, dass sie nachdem sie ihn zur Rede gestellt hat, die Wut kam, ihn vor seinen Freunden Schlappschwanz genannt hat, ihm am Telefon was vorgestöhnt hat, um dann zu sagen: „Na, erkennst du das? Sie waren alle vorgetäuscht meine Orgasmen.“
Jetzt gleich, also um zwölf sei ihr Geburtstag. Im Moment läuft alles schief. „Meistens führen solche schlechten Zeiten dazu, dass sich etwas sehr positiv verändert,“ versuche ich sie zu trösten. Aber Trost braucht sie eigentlich nicht. Sie wirkt nicht niedergeschlagen, aufgeregt ist sie, erregt. So erregt, dass sie einfach zwei fremde Frauen am Bahnsteig Hansaring (dem hässlichsten und kältesten) anspricht und aus ihrem Leben erzählt.
Ihre Bahn kommt. Sie ist schnell weg, halb lachend, halb leidend sagt sie: „Danke, dass ihr mir zugehört habt.“ „Alles Gute!“ sagen meine Freundin und ich gleichzeitig.
In dieser kleinen Erfahrung steckt viel drin. Als Fortsetzung zu „Sind sie ansprechbar?“ natürlich die Verwunderung darüber, wie verschlossen wir Menschen eigentlich sind. Wir befinden uns ständig auf engstem Raum miteinander, zum Beispiel in der Bahn, im Wartezimmer, im Supermarkt, und reden kein einziges Wort miteinander. Meistens schauen wir uns nicht mal an. Auf dem Land ist das anders. Da, wo es nur wenige Menschen gibt, da grüsst man sich, wenn man sich auf der Strasse trifft. Nicht weil man sich kennt, sondern weil Mensch auf Mensch trifft. Klar, wäre es viel zu anstrengend, wenn man zu jedem Vorübergehenden „Guten Tag“ sagen würde. Aber ein kleines bisschen mehr Offenheit wäre doch nur selbstverständlich.
Mir gefällt das Bild, dass der Kommentator von „Sind Sie ansprechbar?“ genutzt hat: Wir Menschen scheinen eine Käseglocke über uns zu tragen. Menschen als Schatten, denen wir keine Realität verleihen können.
Es braucht ja nicht viel. Wir brauchen nur einen kleinen Anstupser und schon werden wir wach. Schon hebt sich die Käseglocke und der Mensch, der eben noch Schatten war, wird zu meiner Realität.
Ich wünsche der Türkin ein schnelles und gutes Überstehen ihrer Krise. Bin aber zuversichtlich, dass sie das flott hinter sich bringt. Geteiltes Leid ist schließlich halbes Leid. Und teilen kann sie ja....
Mittwoch, 18. Mai 2011
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