Sonntag, 5. Juni 2011

Gedanken-Eintopf zum Weltverbessern und lange gewittrige Nächte überstehen

Irgendwie hab ich was zu sagen. Oder vielmehr ist mir nach Schreiben. Das ist ja hier wie so eine Art Tagebuch, und da wandern eben so meine Befindlichkeiten rein. Eigentlich sind es zwei Dinge, die gerade vorrangig in meinem Kopf sind.
Erstens denke ich, wieder mal, über das Leben nach. Es ist schönstes Vorsommerwetter, heute Nacht hat es gewittert, heute morgen ist die Welt frisch geputzt, duftig und einladend. Ich habe Schönes vor heute. Sonntag. Ich habe frei. Gestern war ich arbeiten, und das fiel bei heißem Wetter nicht leicht. Ich arbeitete gestern im Altersheim. Ich mache das noch nicht lange, und höre auch bald wieder damit auf. Das habe ich beschlossen, weil ich einfach dieses ungute Gefühl, vor und während der Arbeit nicht loswerde. Vor der Arbeit denke ich, ach, ich will am liebsten nicht hin, ich könnte so schöne andere Dinge machen. Sieben Stunden muss ich da jetzt verbringen, ich freue mich, wenn dann endlich Feierabend ist. Und ich spüre dieses ungute, kalte Gefühl im Bauch. Während der Arbeit denke ich, hoffentlich passiert jetzt nicht was Ungeahntes, hoffentlich läuft alles glatt und macht mir nicht mehr Stress als ich mir eh schon mache. Wichtig sind die Kollegen. Ich arbeite mit... also bin ich... Meistens sind es nicht die, die mir ein gutes Gefühl geben. Davon gibt es leider auch nur wenige.
Diese Gefühle, die das Leben nicht schöner machen, habe ich mir neun Monate lang angeschaut. Nun mag ich nicht mehr. Ich höre dort auf. Sobald ich es ausgesprochen hatte, vielen einige Kilos von mir ab.
Gestern dann wieder dort, einen Monat muss ich ja noch, war mir leichter ums Herz. All das was ich jetzt mache, mache ich zum vorletztvorletztvorletzten Mal. Ich hörte wieder meine Kolleginnen. Ich hörte ihnen diesmal aufmerksamer zu, denn ich war freier im Kopf. Oder sagen wir so, gestern rauschte es an mir vorbei, wo es mich vorher negativ beeinflusste. Da wurde geschimpft über den Stress, den Mangel an Kollegen und die nervenden Bewohner. Ein Satz hat so richtig geschnitten. Es ging um Ausgehen abends. Eine Kollegin überlegte abends in eine Disco zu gehen. Eine andere sagte: „Doch, mach das! Geh raus! Das braucht man um runterzukommen, und den ganzen Sick hier zu vergessen.“ Dieses Wort „Sick“ schleuderte soviel Abscheu hinaus, dass ich mich fast erschreckte. Wie kann man seinen Job nur so hassen? Oder eher: Wie kann man eine Arbeit jahrelang verrichten, die man so widerwillig macht. Sie redeten über Szenen, die im Frühdienst passiert sind. Ein Bewohner, der sie beschuldigte, ein Hemd geklaut zu haben, eine andere, die in einer Nacht regelmäßig acht Unterhosen bescheißt (plötzlich hieß es nicht mehr professionell: eingekotet), ein anderer, der behauptet, nichts zum Frühstück bekommen zu haben.
Ja, die alten Menschen können wirklich sehr herausfordernd sein. Immer nett zu sein geht nicht. Man ist auch nur Mensch, und wenn man noch so caritativ sein will.
Dennoch bleibt bei mir das Wundern und auch ein Stück Entsetzen darüber, wie unwillig hier Arbeit verrichtet wird. Wundern vor allem darüber, dass man trotz allem dabei bleibt. Ok, ständig werden sie krank, bleiben mehrere Tage zuhause, und jeder versteht es, denn kaputt sind sie alle.
Und ich frage mich: Warum lebt man ein Leben, wo man so viel Zeit verbringt, die einen anscheinend so fertig macht? Mir ist das Leben zu kostbar dafür. Ja, man mag mich Schlendrian, Rosinenrauspicker nennen. „Das Leben ist kein Ponyhof.“ Warum eigentlich nicht? Ja, klar, irgendwer muss „die Drecksarbeit“ machen. Ja, aber dann wollte ich dafür sorgen, dass die Drecksarbeit gefühlt wenigstens nicht dreckig bleibt. Wenn ich nur solche frustrierten, mir meine Energie fressenden Wesen um mich habe, dann ist mir in der Tat meine Arbeit sehr dreckig.
Es gehen die Meinungen rum, in Altersheimen würden die alten Menschen vor sich hinvegetieren, schlecht gepflegt, bis hin zu aggressiv behandelt werden. Ich sage weder stimmt, noch stimmt nicht. Eigentlich sind alle bemüht. Aber wenn sie sich in ihrem Pessimismus und ihrem Frust so gegenseitig runterziehen, dann kommt es in der Tat zu Worten, die ich bereits als Aggression empfinde, und sogar Handgriffe werden nicht so ausgeübt, dass ich Einfühlungsvermögen erahnen kann.
Also entweder Leute, geht weg, macht was, was euch heiter macht, nicht verdunkelt, oder bringt Licht hinein! Ein positives Wort, ein Lächeln, eine Umarmung vielleicht mit der Kollegin, die gerade müde ist. Sie auffangen, statt mit ihr zu fallen.
Ich habe das nicht geschafft. Es aber auch nicht der richtige Ort für mich, nicht die richtige Betätigung, um zu versuchen, die Welt dort zu retten.

Jedenfalls bleibt mir das Wundern im Kopf über die Akzeptanz eines Zustands, der einen unglücklich macht!

Ach ja, mir war ja zu Anfang noch etwas anderes im Kopf. Das hat aber damit gar nichts zu tun, sondern eher mit einer Frage nach, wie viel und überhaupt Beziehung, braucht der Mensch? Glücklicher, aufgeregter, freier Single, oder zufriedener, ruhender, geborgener Paarmensch?
Ich stelle mir diese Frage, weil ich mich heute Nacht, in einer Schlaflosen, mit leichten krank-im-Bauch-Gefühlen und diesem gruseligen Gewitter recht einsam fühlte, und mein Single-Leben wohl, zumindest bis nach dem einsamen Sonntagsmorgen-Frühstück in Frage stellte.

Naja, einfach so ein Gedanken-Eintopf.
Tat gut.