Sonntag, 16. Januar 2011

Ich will doch nur spielen

„Der will doch nur spielen,“ heißt es, wenn der Hund angelaufen kommt.
Ich will auch spielen. Ist mir heute noch mal so richtig bewusst geworden. Und zwar war das so: Ich traf einen Freund zum Kaffee trinken. Dieser Freund nimmt an so ziemlich allem teil, woran der Mensch mit Tendenz zur Bemangelung seiner Selbstfindung teilnehmen kann. Er nimmt das nicht sehr ernst, sondern macht sich erfrischend lustig über sich und seine Aktionen. („Sag mal, wie kommst du eigentlich immer auf all diese Sachen?“ „Brauchst nur Schauen unter www-punkt-wie-finde-ich-mich-selbst-punkt-de ;)“ ). Seine Familie hat er schon mehrfach aufgestellt, in Form von Stühlen, Kissen oder gar lebenden Menschen. Er macht regelmäßig Improvisationstheater und irgendein Körpertraining, dessen Namen ich vergessen habe. Auf jeden Fall ist viel bewusstes Atmen dabei. Er fährt regelmäßig zu Wochenenden ins Kloster, und wird manchmal von seinem Therapeuten in die Fußgängerzone geschickt, wo er laut aus der Zeitung vorlesen soll, oder ins Café, um sich zu einer Person an den Tisch setzen, und sodann in einem Pornoheft zu blättern. Stärkung des Selbst. Nun erzählte er mir, mache er auch noch Kurs „Improvisierten Tanz mit Partner“ und eine Art Wellentanz, wo man mit den Ellenbogen Kontakt zu anderen Teilnehmern aufnehmen soll. „Wave“ nennt sich das. Gott sei Dank sagt er dazu, dass er manchmal mit seinem Mitbewohner in der Küche steht, diesen Tanz übertrieben darstellt, und sich in lustigen Sprüchen und Bewegungen über „Wave“ lustig macht.
Es hätte da eine Frau gegeben beim improvisierten Paartanz, die war sehr attraktiv und wirkte selbstbewusst, aber dann beim Tanzen stellte sich heraus, dass sie doch irgendwie verkrampft sei, und nicht aus sich raus käme. Ich dachte gleich, das hätte wohl auch ich sein können. Erst viel labern, um schon mal nen guten Stand in der Gruppe zu haben, aber wenn es dann ans Eingemachte geht, dann werde ich plötzlich ganz klein.
Und dann fragte ich mich, WARUM eigentlich? Bin ich denn, und wohl auch die andere, tatsächlich so schüchtern und verklemmt? Haben wir ein Problem mit unserem Körper? Mit unseren Gefühlen? Und ich frage mich, sind Leute wie sie und ich, einfach nur nicht am richtigen Ort? Man belegt aus Neugier, und damit man was vorzuweisen hat in seiner gesellschaftlichen Aktivitätenliste, mal so einen Kurs, aber wenn man dann da ist, merkt man, „Hey, ich habe jetzt wirklich überhaupt keine Lust mich wie ein Getreidehalm im Wind zu beugen. Ich habe vor allem deshalb keine Lust drauf, weil mich dabei alle irgendwie angucken, und ein Urteil über mich fällen. Und ich selber tue das auch. Da ist doch von Anfang an schon Druck da. Das ist alles irgendwie unnatürlich!“
Ich denke an meine alten Hobbys. Als Kind war ich in einer Karnevals- Tanzgruppe, und habe jedes Mal den Mittwoch herbeigesehnt, wenn wir Training hatten. DAS hat SPASS gemacht! Da fühlte ich mich nicht auf meine Persönlichkeit gestoßen, wenn mein Bein nicht so hoch flog wie das der Nachbarin.
Ich war auch in einer Gymnastik Gruppe. Da machten wir ebendiese und manchmal wurde das grosse Trampolin rausgeholt, was ein Riesen-Spass war. Oder wir spielten um uns „aufzuwärmen“ Fangen oder Plumpssack. Ich war am Ende k.o. und glücklich, und fühlte mich nicht verklemmt.
Neulich habe ich einmal mit Kindern verstecken gespielt. Ich habe wenig mit Kindern zu tun, und verstecken spielen habe ich das letzte mal vor ca. 23 Jahren gemacht. Ich habe mich in der Dusche versteckt. Die Badezimmertür ging langsam auf, die Suchende kam herein, mein Herz schlug wie wild. Ich wollte schreien vor Spannung. Sie fand mich. Ich schrie. Ach, was eine Aufregung! Und die kam ganz natürlich aus mir raus. Da sagte keiner vorher zu mir: „Jetzt klopfen wir mal mit dem Stock auf das Kissen und schreien laut NEIN!“
Ich finde es gut, dass ich nicht (mehr) zu derartigen Veranstaltungen gehe, nach denen ich mir hinterher Vorwürfe mache, weil ich mich für verklemmt halte.
Aber ich finde es nicht gut, dass ich nicht mehr spiele. Oder sagen wir, viel zu selten. Neulich machte ich für meinen Freund alberne Tänzchen im Wohnzimmer. Er lachte sich schlapp. Ich war außer Puste und sehr vergnügt.
Als Kind hatte man Spielsachen. Was haben wir Erwachsene für Spielsachen? Das Auto, sagt man so. Aber das ist kein Spielchen, was einen ausgelassen Lachen macht. Radfahren ist nur noch Fortbewegung oder Sport. Inlinen das könnte man mal wieder machen. Aber dann will ich nicht dran denken, wie gut das jetzt für meine Oberschenkel ist.
Als Kind fand ich es ganz schlimm, wenn ich meine Eltern in die Kneipe begleiten musste. Oder irgendwo dabei sitzen und die Unterhaltungen der Erwachsenen anhören. Das war ein Höchstmass an Langeweile. Heute sitzt man ständig irgendwo rum und unterhält sich. Was ja auch oft schön ist, aber manchmal wünschte ich mir, einfach mal aufzustehen und ne Runde Fangen zu spielen. Zum Wachwerden und zur allgemeinen Erheiterung und aus viel zu lange unterdrücktem Bewegungsdrang.
Als ich nach diesem Kaffeetrinken mit Selbstfindungs-Freund lange Spazieren ging, erinnerte ich mich daran, wie ich mir früher immer mein Traumhaus eingerichtet habe: Es sollte darin verschiedene Ebenen geben, mit vielen Kissen, die überall rumliegen, dann Schaukeln, von denen man sich in die Kissen fallen lassen kann und Trapeze, von denen man sich einfach hängen lassen kann, breite Treppengeländer, auf denen man rutschen kann. Ein Trampolin wäre top gewesen. Und Wände, die man bemalen kann.
Warum habe ich keine Schaukel in der Wohnung? Warum male ich nicht mehr? Warum langweile ich mich oft? Warum gehe ich nicht mehr zum Karneval?
Es ist nicht leicht, sich das Kindliche zu bewahren. Aber scheinbar sehnen wir uns alle nach dieser kindlichen Freude und nach Spielen. Warum gäbe es sonst all diese Kurse? Das soll wohl Spielen für Erwachsene sein. Geht ja auch, aber meiner Meinung nach nicht so. Beim Spazierengehen sah ich Männer auf der Wiese Fußball spielen. Perfekt! Ich habe auch schon mal ein Grüppchen junger Menschen Akrobatik auf der Wiese machen sehen. Und manche spannen ein Gummiband zwischen zwei Bäume und balancieren. Toll!
Hey, da fällt mir ein, ich habe neulich mit meinem Freund Fangen gespielt. Geht doch. Manchmal. Ich google mal ob es nicht ne nette Tanzgruppe in meiner Nähe gibt.
Ich will doch nur spielen.

1 Kommentar:

chris1414 hat gesagt…

dieses kommentarfenster ist blöd weil es zu klein ist, aber egal. zum spielen kommt mir in den sinn, dass ich mal für unsere schülerzeitung eine freie schule besucht habe, damals eine art alternativer geheimtipp. heute sind freie schulen ja fast schon trivial. diese freie schule war damals in meinen augen ein aufregender neuer kontinent. bildung ohne den ganzen autoritätskram, ohne noten und zwänge. gut. aber hängengeblieben ist mir vor allem. der toberaum. es gab einen raum, der voller kissen war, in denen die kinder einfach herumtoben konnten. obwohl ich auch so ein fußballkind war, dass auf dem platz mit dem runden leder und freunden aus sich heraus gehen konnte, blieb doch der toberaum in jener freien schule ein ein symbol für etwas unerreichtes. schule ohne bänke, schule, die ein kopfüber und mitten hinein erlaubt, ja fördert?

ich habe den verdacht, dass spielen heute oft aufkommt, um sich etwas zu beweisen. schaut mal alle her, ich flippe mal aus für die kamera, bäh. wir halten uns sogar bezahlte dompteure, die uns das spielen professionell erlauben. wir tun als ob, indem wir unsere kinder imitieren. und fühlen uns dabei jung? wohl eher im gegenteil.

oft kommt es dann, weil so lange versteckt und verbogen, mit lauter kehle daher, viel schampus muss fließen, um einzutauchen in die welt, die stillschweigend entfernt wurde aus dem jetzt.

interessanter ist es, wenn es wirklich zuckt. zum beispiel, indem ich in momenten überschwenglicher freude grimassen schneide, oder manchmal sogar einfach hochspringe, wie ein verrückter, wenn keiner hinschaut. oder eben, wie die autorin, im kinderspiel einfach vergesse, dass ich so viel erwachsener bin.

ich kenne menschen, die ernsthaft bezweifeln, dass sie wirklich erwachsen geworden sind. mit dem alter hat das nicht wirklich zu tun. auch mich überkommt öfter mal der verdacht, das erwachsensein nicht mehr ist als ein mittelmäßiges bühnenstück - mit einer mehrheit schlechter schauspieler. erwachsensein erscheint dann als eine art trick, die niederen absichten mit schlauen formulierungen zu kaschieren.

erwachsene rechtfertigen den verlust ihrer spielsachen fast immer damit, dass sie geld verdienen müssen. und sie haben so schrecklich viel angst vor den anderen. hätten sie diese nicht, wäre da längst ein toberaum anstelle der minibar, und den langweiligen fitnessgeräten. oder aber ein trampolin und wände zum malen anstelle des großbild-fernsehers, der die wand von draußen bemalen lässt.

zum spielen gäbe es noch viel mehr zu sagen. aber ein anfang ist das immerhin, wenn es schon zwei gibt, die nur spielen wollen.