Die Woche Paris ist rum, und ich kann nur sagen: Ich habe heute morgen den Moment herbei gesehnt, in dem ich in dem roten Zug sitze.
Ich muss mal eine Warnung vorab senden: Das wird hier heute nicht lustig. Denn ich bin nicht lustig. Ich bin schwermütig. Die Kälte, das Grau, der Dreck, das Nicht-Hingehören nach Paris, lastet auf mir und wird sich in meinen Worten wieder finden. Darum schreibe ich. Denn ich weiss, dass ich Schwere beim Schreiben am besten loswerden kann. Schreiben ist schon ein merkwürdiges Ding. Da geht es einem gerade ziemlich schlecht, man schreibt irgendwas darüber, dass es einem gerade ziemlich schlecht geht, vielleicht noch mit übertriebenen Worten, zum Beispiel so: „Ich fühle mich alleine, als ich vor die Tür trete, aber eigentlich bin ich nicht alleine, denn da sind Tausende von kleinen, spitzen Mini-Schneeflocken, die sich alle an mich schmiegen wollen. Sie bleiben an mir kleben, kriechen in meinen Hals, geben mir dort feuchtkalte Küsschen, kitzeln mich in den Augen.“ Und da setzt das Phänomen ein: das Negative wird positiv, nur weil man darüber schreibt. Geschriebenes Unglück kann leicht gelebte Freude werden.
Und auch ich fühle mich schon wesentlich leichter nach diesen ersten Sätzen. Und das obwohl der Zug gerade mal das Pariser Banlieu hinter sich gelassen hat.
Ich weiss, dass ich hinter Lüttich ganz und gar frei bin von der Pariser Schwere. Ich gehöre nicht mehr nach Paris. Ich will nicht mehr durch die Strassen des 17. Arrondissement, gehen (den allerhässlichsten Teil zwischen Avenue de Clichy und der Peripherie, in dem meine Freunde, und wenn ich zu Besuch bin, auch ich, wohnen). Witzigerweise haben meine Freunde und ich den Höhepunkt gemeinsam erreicht (hui ;) ). Denn die beiden haben just in diesem Moment des Überdrusses ein neues Appartement gefunden. Ausserhalb von Paris. Ausserhalb des Lärms, des Drecks, des Rennens. Mit Bäumen in unmittelbarer Nähe. Vielen Bäumen sogar, denn sie ziehen nach Maisons Lafitte. Da gibt es ein Schloss und einen Wald und Menschen mit viel Geld, die ihren Müll nicht auf die Strasse schmeissen müssen, und den Hundekot mit grösserer Wahrscheinlichkeit vom sauberen Trottoir pflücken.
Wenn einen von dort aus die Lust überkommt, nach Paris zu fahren, kann man das durchaus, mit einem festen Willen, guter Laune, und nur dreissig Minuten Fahrzeit bewerkstelligen.
Alles wird also gut.
So, jetzt bin ich in entsprechender Laune, um eine Geschichte aus Paris zu erzählen. Es ist ja nicht so, dass ich jetzt zum Feind dieser Stadt geworden bin. Ich kann immer noch staunend hindurch laufen, und mich an schönen Häusern, hübschen Geschäften, köstlichen Bäckereien und vor allem an interessanten Menschen, erfreuen. So zum Beispiel neulich morgens im Bus. Es sind noch keine acht Uhr, alle sind müde, machen lange, schläfrige Gesichter und sind halt so, wie Menschen morgens um halb acht in öffentlichen Verkehrsmitteln eben sind.
Wir sind noch keine fünf Minuten gefahren, da bleibt der Bus hinter einem Lieferwagen, der auf der Busspur parkt, stehen. Er bleibt stehen. Steht. Und steht. Warum überholt der denn nicht? frage ich mich. Das machen die doch sonst immer. Oder hupt. Mir fällt ein, dass ich beim Einsteigen eine Frau Busfahrerin begrüßt habe (ja, hier grüßt man den/die BusfahrerIn, und er, oder sie, grüßt zurück). Allez, Frau Busfahrerin, hup mal, fahr vorbei, mach irgendwas! Mach IRGENDWAS! Wird immer dringender, schliesslich will ich meinen Anschlusszug bekommen. Auch die anderen Fahrgäste werden immer unruhiger. Es wird schon leicht gemurmelt. Eine Frau steht auf und geht nach vorne. Vermutlich sagt sie ihr: Fahr doch dran vorbei, oder hup mal, aber mach irgendwas. Allez! Scheinbar hat die Fahrerin ihre Gründe, das nicht zu tun. Die Frau scheint sie daraufhin zu bitten, sie aussteigen zu lassen, denn sie rupft wie wild an der Tür, die natürlich nicht aufgeht. (Es ist nicht gestattet, Fahrgäste ausserhalb markierter Bushaltestellen die Türen zu öffnen“. So ähnlich steht es vermutlich in der Dienstvorschrift) Sie wird laut. Ist zornig: „Laissez-moi sortir!!“ und nun passiert das, was ich für ein Wunder halte: Andere Fahrgäste mischen sich ein. „Laissez-lui sortir!“ rufen sie nach vorne. Wow, ich bin beeindruckt. Die müden Gesichter können sprechen. Sie setzen sich ein für diese Frau. Und wohl auch für ihr eigenes Weiterkommen. Plötzlich redet der ganze Bus. Die einen lauter mit der Frau, die jetzt hin und hergeht und immer wieder sagt. „Mais elle transporte des animaux ou quoi? Elle pense que`elle transporte des animaux.“ Nein, dass wir keine Tiere sind, die sie transportiert, wird klar, denn Tiere sprechen nicht. „Elle dort ou quoi?! fragt einer. „Elle lis son journal,“ empört sich die Frau, mit der alles anfing. ENDLICH fährt der Lieferwagen weiter und die Busfahrerin nimmt die Fahrt wieder auf. Aber ruhig wird es nicht im Bus. Alle schimpfen weiter. Ich rede mit meiner Nachbarin, andere reden wilder durcheinander. Scheinbar gefällt das der Busfahrerin nicht, denn an der nächsten Haltestelle sagt sie durch den Lautsprecher: „Terminus“. Das heisst Endstation. Hui, die Busfahrerin, die ich erst für eine unsichere, dienstbeflissene Anfängerin gehalten habe, hat Temperament. Und Mut. Wer bisher noch nicht gesprochen hat, der spricht jetzt. Uns bleibt nichts anderes übrig. Wir müssen raus. Während wir auf den nächsten Bus warten, reden wir weiter. Wir sind ja jetzt sozusagen eine Herde, Leidensgenossen, Komplizen. Der Bus kommt, und darin vermischen sich nun die eingeweihten Fahrgäste mit den nicht eingeweihten. Ich muss an ein Youtube-Video denken. Das spielt in der New Yorker U-Bahn. Ein Mann kommt in den Zug, und fängt an zu lachen. Erst ganz langsam und dann immer doller. Die Fahrgäste, die zuerst etwas beschämt ins Schwarz schauten, fangen einer nach dem anderen, auch an zu lachen. Irgendwann lacht und brüllt der ganze Wagen. Dann hält der Zug an einer Haltestelle an. Die vergnügten Fahrgäste hören auf zu lachen, denn es kommen ja nun neue Fahrgäste in den Zug. Was sollten die denn denken?! Es wird ganz still, als die Neuen hineinkommen, aber dann platzt es heraus. Die eingeweihten Fahrgäste prusten los, lachen laut und nun mit einem echten Grund.
In den neuen Bus steigt eine Menge Menschen, die alle miteinander reden. „Warum reden die miteinander obwohl die nicht aussehen, als seien sie Freunde oder eine feste Gruppe?“ müssen sich die übrigen Fahrgäste fragen. Wir vermischen uns mit den anderen, und werden langsam stiller. Man erkennt sich noch, aber die Gesichter werden langsam wieder müder.
So, das sind die positiven Seiten von Paris: man erlebt Geschichten. In einer Stadt, die so voller Menschen ist, passiert andauernd etwas. Was ich mitnehme aus dieser Episode, ist die Courage, der Frau, die als erste aufgestanden ist. Ich möchte auch näher am Aufstehen sein, näher am Wort, um mich selbst und auch andere, zu verteidigen.
Voilà.
Sonntag, 14. Februar 2010
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