Dienstag, 15. Mai 2012
Zwischen Bitterfeld und Jena Paradies war ich glücklich, Teil 2
Ich fuhr die Strecke gestern noch ein zweites Mal, und da dachte ich mir: Ich muss damals schon sehr glücklich gewesen sein, denn rund um Halle, und fast bis Jena war es nur mit Mühe eine schöne Landschaft.
In Bitterfeld stieg ein junger Kerl ein. Dunkel angezogen, mit schwerem Reise-Rucksack. Er ließ sich auf meinen Nachbarsitz sinken. Irgendwann hörte ich ihn telefonieren. Er war vielleicht Mitte zwanzig, machte ein Kreuzworträtsel und sagte zu dem Telefon: „Kennst du einen Apostel, der auf s endet? Pause. „Nee, Matthäus ist zu lang“. Dann erzählt er, dass er heute Morgen in zwei Bäckereien war, und keiner hatte mehr Semmeln, nur Kuchen. „Nüü, Kuchen wollte ich nicht.“ Er fragt weiter seinen Telefonjoker, ob er ihm noch paar Leerstellen im Rätsel füllen kann. Und all das in schönstem Sächsisch. Sehr schön. Ich fühl mich fast wie im Theater.
Das Theater geht weiter. Sechs junge Japanerinnen kommen in den Zug, drehen wieder rum, rennen aufs Gleis, den Zug entlang, und springen am anderen Ende des Wagens wieder rein.
Ich muss an diese Werbung für Tütensuppe war das glaube ich, denken, als so eine Gruppe von Männchen, irgendwie schnatternd und gestikulierend, in eine Richtung lief, so ein Dinosauriertier hinter ihnen her, plötzlich, an einem Abgrund umkehrte und wild schnatternd zurücklief, Dinosauriertier, trotz Umkehrens immer noch im Rücken
.
Ein Paar steigt ein. Gestresst wohl von Platz suchen und Taschen reinschleppen. Sie mögen um die Fünfzig sein. Draußen steht ein weiteres Paar, um die Siebzig. Sie winken, vor allem der Mann auf dem Bahnsteig. Er schaut die ganze Zeit in den Zug, während das Paar damit beschäftigt ist, die Taschen irgendwo zu verstauen. Der Mann draußen lässt langsam nach. Sein Lächeln und fröhliches Gesicht sinkt langsam ein. Die Frau dazu friert. Sie scheint nur zu hoffen, dass der Zug bald fährt, damit sie heim, ins Warme gehen kann. Das Paar schaut immer noch nicht. Der Zug fährt an. Endlich erinnert sich die jüngere Frau, dass da noch jemand draußen steht. „Ich muss mal winken.“ Und sie winkt. Sehr fröhlich sogar. Und er, den ich nun als Vater identifiziere blüht wieder auf. Er tut sogar so, als laufe er jetzt neben dem anfahrenden Zug her. Gott sei Dank, ich hatte schon überlegt, ob ich ihm winken soll. Sein ins Leere winken hat mich so traurig gemacht.
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