Viele schreiben ihre Blogs von unterwegs. Ich mach das jetzt auch mal. Ein Reisebericht. Wie langweilig. Mal sehen, was daraus wird. Damit es nicht so langweilig wird, mache ich ein Ratespiel: Wo bin ich? Um mich herum ist es rötlich. Das liegt am Abendrot, aber auch an dem roten Stoff um mich herum. Vor mir, neben mir, und unter meinem Po. Oben ist es grau, auf dem Boden auch. Grauer Teppichboden. Es ist nicht still. Ich höre ständig Stimmen. Obwohl es hier heute überraschend leer ist. Das habe ich so leer noch nicht erlebt. Aber vier Menschen sitzen sich gegenüber und unterhalten sich so, als bemerkten sie gar nicht, dass wir anderen ihnen zuhören können. Die Stimmen sprechen französisch. Hier sind überhaupt viele fremdsprachige Stimmen. Oft kommen Durchsagen. Erst auf deutsch, dann auf französisch, auf holländisch und letztlich, falls immer noch nicht für jeden die richtige Sprache dabei war, auf englisch.
Das war jetzt ein ziemlich guter Hinweis. Ist schon klar geworden, wo ich mich befinde. Ich könnte an der nächsten Station aussteigen, dann wäre ich in einer Kurstadt. Dort, wo Kaiser Karls Gebeine in der Kirche liegen. Vermutlich die zu allererst aufgeführte Stadt im deutschen Städteverzeichnis.
Würde ich weiterfahren bis zum nächsten Halt, und angenommen, es wäre Sonntag, dann könnte ich auf einen riesigen Flohmarkt gehen. Hier heißt er wohl eher Marché aux Puces.
Keine Lust auf Flohmarkt? Dann weiter zum nächsten Stopp. Hier stehen metallische Gerüste herum, hier pieseln kleine Männchen in Brunnen und mehr Tipps braucht es wohl jetzt nicht. Ich fahre aber weiter bis zur Endstation, und die heißt: Paris.
Ich musste ein Weilchen aufhören. Wer das liest, merkt es nicht, außer daran, dass ich vom Themenfluß abkomme. Ich musste aufhören, weil die Landschaft gerade so schön ist. Kaum hinter Aachen ist die Landschaft wunderschön. Hügelig und waldig (waldig-das Wort gibt es nicht, oder?! Gefällt mir aber), Kühe und charmante Bauernhöfe, Hecken, die die Wiesen abteilen und das alles im Abend-Sonnenlicht.
Aber zurück in den Zug. Denn die Stimmung hier gefällt mir, inspiriert. Diese vier Menschen, deren Stimmen ich wie einen ständigen Fluss um mich habe, gehören zwei Paaren. Es sind Franzosen, Renter aus der gut situierten Bildungsschicht. Eigentlich kann es gar nicht anders sein, als das die beiden Männer ihr Berufsleben als Lehrer oder Dozent verbracht haben.
Ihre Frauen vermutlich Hausfrauen, oder halbtags Beschäftigte in einem Büro, immer gerne an der Seite des Ehemannes, um diesen ins Museum, Theater und in den Konzertsaal zu begleiten. Am Tisch spricht man über das gute Essen und gute Restaurants, die man zu besuchen plant. Nach Tisch gibt es einen Cognac für ihn, einen Kräutertee für sie, und man unterhält sich über Kultur. So wie jetzt. Ich höre selten in einer Stunde so viele Namen von Architekten, Malern, Verstorbenen, von Städten und deren Museen und Bauwerken.
Ich habe das Glück auf einen 1A-Steretypen getroffen zu sein. Beigefarbene Jacketts für die Männer und braun karierte Hosen. Koffer in grün mit Lederriemen eingefasst. Die Frauen kann ich leider nicht sehen. Nur hören. Mit hohen Stimmen höre ich: „Oui, oui, oui.“ Oder „Ah ca!“ „Eh oui“. Sie sind eigentlich nur Hintergrundmusik für die Männerworte.
Ich habe einen Riesen-Vorteil. Ich kann die Stimmen ausschalten. Ich höre sie, aber ich muss ihnen nicht zuhören. Würden sie deutsch sprechen, wäre das nicht möglich. Ich kann es wie einen Schalter ein- und ausschalten. Hinhören. Weghören. Arme Franzosen, die hier versammelt sind, die werden die ganze Zeit beschallt. Aber vielleicht haben die auch so einen Schalter.
Oha!! Die Herrschaften stehen auf (zehn Minuten vor Liège). Sind gar keine Franzosen. Belgier. Schade, als französische Bourgeois, passten sie viel besser in meine Clichée-Schublade. Die Stimmen werden mir fehlen. War eine gute Einstimmung auf Paris.
Es wird langsam dunkel. Gleich acht Uhr. Im Dunkeln Zug fahren finde ich schrecklich. Im Hellen wunderbar. Mit der Landschaft ziehen auch meine Gedanken. Manchmal fühle ich mich dabei wie in einem Musikvideo. So als sähe ich mich von außen, und schaue mir zu, wie ich nachdenklich aus dem Fenster schaue.
Wenn es aber dunkel ist, sehe ich nur mich, wenn ich aus dem Fenster schaue. Das sieht längst nicht so schön aus, wie die sich ständig bewegende Landschaft.
Ich muss noch ein wenig volltanken und aus dem Fenster schauen, bevor das Fenster zum Spiegel wird. Kleine Pause also (die wieder niemand merkt).
Vielleicht sollte ich meinen Bericht auch ganz beenden. Wenn man einen blog liest, will man wohl lieber kurze Texte, sonst traut man sich erst gar nicht ran.
Ich kann ja morgen weiter schreiben.
Oder einen neuen Blog beginnen. Dann gibt es einen aus dem hellen Zug mit den französischen Belgiern, und einen aus dem dunklen Zug ohne Bildungsangebot. Mal sehen, was noch kommt...
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