Sonntag, 13. September 2009

Wo ich bin

Und es passiert noch was.
Derselbe Raum, aber ein komplett neues Ambiente. In Brüssel steigen plötzlich Massen von Passagieren in unser ruhiges, rotes, Zugwägelchen, wo ich gerade beschlossen hatte, ein wenig die Augen zu schließen. Plötzlich aber sind wieder viele Stimmen um mich. Ich kann mich nur noch zurücksehnen nach französisch sprechenden Rentnern. Auch wenn die nicht so meine Themen besprachen, dann gaben die mir doch ein besseres Gefühl, als die vielen neuen, bunten Passagieren. Was ich von diesen gerade vorrangig mitbekomme, ist eine Stimme, die aus einem rotgeschminkten, dicklippigen Mund kommt. Sie spricht englisch, aber mit starkem Akzent. Manchmal spricht sie auch ein paar französische Worte, aber auch da setzt er sich durch: der afrikanische Akzent. Sie wird ständig angerufen. Vermutlich von einem Mann, der irgendwo in Paris in seiner Wohnung hockt und ganz schön scharf auf diese kleine, schmale Afrikanerin, in ihrem tigergemusterten, hautengen Oberteil, ist. Sie hört nicht auf, ihm zu sagen, dass sie müde ist, erst spät ankommen wird, einen langen Tag hatte, an dem alles schief lief, dass sie müde ist, dass sie heute nicht mehr will.
Nun spricht sie mit ihren Sitznachbarn. Und hier geht das Licht aus. Technisches Problem. Wir stehen immer noch in Brüssel-Zuid. Schon zwanzig Minuten. Ich hoffe, die Afrikanerin mit dem Tag, an dem alles schief lief, bringt ihr Unglück nicht mit in den Zug.
Dass sie müde ist, kann ich ihr nicht wirklich glauben. Lebhaft erzählt sie den Menschen um sich herum aus ihrem Leben. Ich höre keine anderen Stimmen, nur ihre. Sie braucht keinen Gegenspieler für ihr Match.
Ihre Stimme brennt sich in mir fest. Sie erzählt irgendwas von „Tam Tam“, ein Wort, dass für irgendetwas steht. Was, das kann ich leider nicht verstehen. Sie sagt es ständig. Lacht dabei. Diese zwei Worte und ihr Lachen werde ich noch tagelang erinnern können. Wie ein Musikstück, an das man denkt, und gleich mit komplettem Orchester im Ohr hat.
Meinen letzten Blog beendete ich, indem ich sagte: Eine gute Einstimmung auf Paris. Um ehrlich zu sein, das war die romantische Einstimmung auf Paris. Auf das Paris der Touristen, auf das Vorzeige-Paris, das Saubere und Harmonische, das Akkordeon-Paris. Ein Paris, in dem Franzosen leben.
Die Zugatmosphäre ab Brüssel stimmt mich ein, auf das echte Paris. Auf das bunte Paris. Auf das Paris, dass sich Franzosen mit Afrikanern, Marokkanern, Asiaten, teilen. Hier sind sie alle versammelt und so fühlt sich Paris an. Nicht im ersten, zweiten und nicht in den meisten einstelligen Arrondissements. Aber da, wo die blendende Schönheit von Paris aufhört, da fängt das an, was auch zu Paris gehört: ein bunter Ameisenhaufen.

2 Kommentare:

Klausi hat gesagt…

Ach das liest sich hier immer so klasse bei dir. Freue mich schon auf die nächsten Beiträge.

pot-aux-mots hat gesagt…

Danke dir!! Das tut gut! Und motiviert :)